Kirchenjahr
Michaelis - Ende des Kirchenjahres

 

MichaelisSymbol

 
Weitere Informationen:
Heinrich Beck - Michael - eine Engelsmacht in der Geschichte
Ekhard Nadler - Sphärenharmonie und Engelsmusik
Reinhard Brandhorst - Stundengebet zu Michaelis
 
Das Fest des Erzengels Michael wird gefeiert, wenn sich Nacht und Tag die Waage halten, seit dem Tag Johannis des Täufers haben die Tage abgenommen, die Nacht ist mächtig gewachsen. Zu dieser Zeit, wenn die Herbststürme losbrechen, die der Seefahrt so große Not bereiten, wenn die Elemente in Aufruhr geraten und ihr Tosen und Brausen wie ein Vorspiel des Weltunterganges anmutet - zu dieser Zeit begeht die Kirche das Fest St. Michaels, des Kämpfers. Der Kampf, der in der Natur entbrennt, wird für die Christen zum Abbild des geistlichen Kampfes mit den Mächten, die das ihr anvertraute Heiligtum bedrohen. An der Gestalt St. Michaels wird der Kirche tröstlich vor Augen gestellt, daß ihr in diesem Kampf der Sieg gegeben ist und daß die Pforten der Hölle sie nicht sollen überwältigen.
Wir erblicken in dem Kampfe Michaels mit dem Drachen, wie er uns im 12. Kapitel der Offenbarung St. Johannis geschildert ist, eine bis ins Personhafte verdichtete Gestaltwerdung des einen großen Kampfes, der durch die Welt geht: des Kampfes zwischen Gehorsam und Auflehnung, zwischen Gottesreich und Reich der Finsternis. Dieser Kampf spielt sich nicht bloß auf der Ebene ab, auf der wir Menschen zu kämpfen haben, innerhalb unseres irdischen und bewußten Lebens, vielmehr sind die menschlichen und geschichtlichen Kämpfe auf der Erde darum so ernst und gefährlich, weil bei ihnen noch andere Mächte im Spiele sind, die wir nicht sehen. Das Bedrohliche an ihnen ist, daß ihr Machtanspruch den alleinigen Herrschaftsanspruch Gottes gefährden möchte. Deshalb weiß sich Christus in den Kampf mit diesen Mächten gerufen. Ja, mit Christi Kommen entbrennt der Endkampf der Welt. Hier steht »Reich« gegen »Reich«, Gottes Herrschaft gegen die Herrschaft der »Mächte«. Die Dämonen wittern, daß bei dem Nahen Christi das Ende ihrer Macht gekommen ist (Matth. 8, 29). Christus selber erkennt an untrüglichen Zeichen, daß die Herrschaft Gottes schon angebrochen ist und daß die widergöttlichen Mächte schon im Rückzuge sind (Matth. 12, 28). Er bekennt triumphierend: »Ich sah den Satanas vom Himmel fallen wie einen Blitz« (Luk. 10, 18).
 
Nach diesem Worte Christi ist erfüllt, was prophetische Schau des Alten Bundes in einem genau entsprechenden Bilde gesehen hat. Wir finden diese Schau in dem Triumphlied, welches in seiner jetzigen Fassung von dem Sturz des Königs von Babel handelt, ursprünglich aber ein übergeschichtliches Geschehen im Auge hat:
»Wie bist du vom Himmel gefallen, du schöner Morgenstern / wie bist du zur Erde gefället ... / Gedachtest du doch in deinem Herzen: 'Ich will in den Himmel steigen / und meinen Thron über die Sterne Gottes erhöhen / ich will über die hohen Wolken auffahren / und gleich sein dem Allerhöchsten'. - Ja, hinunter zu den Toten fuhrest du, zur tiefsten Grube« (Jes. 14, 12-15).
Die Kirchenväter (Tertullian, Gregor d. Gr.) spürten mit erstaunlicher Sicherheit den geheimnisvollen Hintergrund dieser Stelle. Sie deuteten sie auf den Satanssturz, und weil sie in ihrer lateinischen Bibel das Wort, welches Luther mit »Morgenstern« übersetzte, durch »lucifer« (=Lichtträger) wiedergegeben fanden, so trägt seither der Satan diesen Beinamen. Auch der Satanas gehörte ursprünglich zu den »Kindern Gottes« (Hiob 1, 6), er ist ein gefallener Engel des Lichts. In der Stelle aus dem Propheten Jesaja ist der Höhenflug eines mächtigen Geistwesens beschrieben, welcher mit dem jähen Absturz endet. In dem Höhenflug Lucifers sehen wir ein Abbild für die Grundversuchung der Welt, die sich überall da wiederholt, wo Menschen versucht werden, sich zur Höhe Gottes zu erheben. Sie begegnete dem Menschen im Paradies, als die Schlange ihr »eritis sicut Deus« sprach (»ihr werdet sein wie Gott«). Sie begegnet uns überall da, wo die Menschen versuchen, den babylonischen Turm zu bauen, den babylonischen Turm ihrer Kultur, ihrer Technik, ihrer politischen Herrschaft: »Wohlauf, laßt uns eine Stadt und einen Turm bauen, des Spitze bis an den Himmel reiche, daß wir uns einen Namen machen!« Diese Versuchung tritt auch an Christus heran in der Wüste, als Ihm der Versucher die Herrschaft über die Welt anbietet. Da spricht Christus das Wort der Entscheidung: »Du sollst anbeten Gott, deinen Herrn, und Ihm allein dienen.«
An diese Alleinherrschaft Gottes, an Seinen Anspruch auf Gehorsam, an seine Unvergleichlichkeit gemahnt der Name Michael: »Mi-ka-el?« »Quis sicut Deus?« »Wer ist wie Gott?« Der Kampf Michaels wider den Drachen ist der Kampf um Gottes Herrschaft. Auch Michael und seine Engel sind mächtige Geistwesen. In ihnen schauen wir, als in einem Bilde, die gewaltigen Kräfte, welche Gott zu Gebote stehen und welche Gott seinem Sohne dienstbar gemacht hat, »da Er Ihn von den Toten auferweckt hat und gesetzt zu seiner Rechten im Himmel über alle Fürstentümer, Gewalt, Macht, Herrschaft und alles, was genannt mag werden nicht allein in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen« (Eph. 1, 20-21). Diesen umfassenden Christussieg besingt das Michaelslied im 12. Kapitel der Offenbarung. Der Michaelssieg über den Drachen ist nichts anderes als der Ostersieg Christi, der mit den Worten verkündigt wird: »Nun ist das Heil und die Kraft und das Reich unseres Gottes worden und die Macht seines Christus.«
In der himmlischen Welt ist der Sieg über die widergöttlichen Mächte errungen. Auf Erden aber geht der Kampf weiter: »Weh denen, die auf Erden wohnen und auf dem Meer! Denn der Teufel kommt zu euch hinab und hat einen großen Zorn und weiß, daß er wenig Zeit hat.« Damit ist die Kirche mitten in den Kampf gestellt. Gerade weil sie der Ort göttlichen Geschehens in der Welt ist, darum ist sie bedroht durch Angriffe von außen, durch Anfechtungen von innen. Deshalb betet die Kirche: »Du wollest uns erhören, lieber Herre Gott / und Deine heilige christliche Kirche regieren und führen / alle Bischöfe, Pfarrherren und Diener Deiner Kirche im heilsamen Wort behalten, allen Rotten und Ärgernissen wehren / alle Irrigen und Verführten wiederbringen / den Satan unter unsere Füße treten.« Die Kirche weiß, daß sie solchen Kampf aus eigener Kraft nicht bestehen kann. Deshalb bittet sie Gott um den Beistand Seiner heiligen Engel. Damit meinen wir die starken und bewahrenden Mächte, welche uns raten und beistehen, wo wir für Gottes Sache zu kämpfen haben. Die Kämpfer Gottes, die Propheten und Apostel haben zu allen Zeiten erfahren, daß vor ihnen Hindernisse aus dem Weg geräumt, Widerstände zerbrochen und ihnen wunderbare Tröstungen zuteil wurden. Ohne Beistand solcher gütigen und stärkenden Kräfte, die Gott sendet, wären auch wir längst verloren. Denn es sind starke und feindselige Mächte, welche uns »den Namen Gottes nicht heiligen und Sein Reich nicht kommen lassen wollen«. Darum lassen wir uns durch die Gestalt Michaels, welche die Heilige Schrift selber uns vor Augen stellt, aufrufen zur Wachsamkeit gegenüber allem, was uns untüchtig machen kann für den Kampf, in den wir mit unserer Kirche gestellt sind. Wir lassen uns insbesondere in der Zeit, die dem Michaelisfeste folgt, an die geistlichen Waffen erinnern, die uns gegeben sind: Wort Gottes, Sakrament, Fasten und Gebet. Das göttliche Wort hilft uns, daß wir durch allen vordergründigen Schein durchschauen auf das Echte und das Wirkliche, welches Bestand hat. Das Wort Gottes scheidet die Geister, es scheidet den Anspruch Gottes von allen irdischen Ansprüchen. im Sakrament lassen wir uns stärken mit der himmlischen Speise, damit wir nicht verschmachten auf dem Wege, sondern getrost unsere Reise durch die »Wüste« fortsetzen bis zu dem Ziele, zu dem wir gerufen sind. Im Zusammenhang mit dem Mahl des Herrn werden uns auch die irdischen Gaben, die am Erntedankfest vor uns stehen, in ihrer wahren Bedeutung offenbar, und wir gedenken daran, daß wir zugleich mit den Gaben der Erde, die sich verzehren, mit dem Brote des Lebens beschenkt werden, das sich nicht verzehrt. Wir lassen uns durch das Reformationsfest erinnern an das Glaubenserbe der Väter und die in ihm ruhende Verpflichtung, der wir uns um der gesamten Kirche willen niemals entziehen dürfen: hinter der Fülle der sich wandelnden Gestalten des kirchlichen Lebens das eine ewige Evangelium zu erkennen und festzuhalten, ja, unübersehbar in den Mittelpunkt zu rücken - darum ging es den Vätern der Reformation. Sie wollten aber dabei dies Ziel nicht nur für eine besondere »Konfession« erreichen, sondern für die ganze Christenheit. Darum muß sich auch unser Blick über die Grenzen der Konfessionen hinweg erheben und überall, wo Christus bekannt wird, das eine, was not tut, suchen und anerkennen. Darum lassen wir uns rufen zu der Gemeinsamkeit des Michaelskampfes, welcher der Kirche als ganzer aufgegeben ist. Das ist der Kampf wider die Mächte des Säkulums, welche göttliche Ordnungen in menschliche Ordnungen verwandeln, irdische Einrichtungen und menschliche Personen vergötzen, der göttlichen Wahrheit ihr Geheimnis rauben und sie in Wahrheiten der menschlichen Vernunft umbiegen möchten. In diesem Kampf, in dem es allein um die Ehre Gottes geht, sind alle Kirchen gemeinsam gefordert und erkennen einander auf dem Kampfplatz der Welt als zugehörig zu der »Einen heiligen christlichen Kirche«, zu der sich Luther mit heißer Liebe bekannt hat.
Die liturgische Farbe des Michaelistages ist Weiß, die Farbe der Christusfeste, sonst bleibt bis Ende des Kirchenjahres die Farbe Grün, nur das Reformationsfest und der Tag des Gedächtnisses der Heiligen haben Rot, der Bußtag Violett, für den Gedenktag der Entschlafenen schlagen wir die Farbe Weiß vor, als Farbe des Lichts und der himmlischen Welt.
Spieker [5], S. 269 - 274

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ErntedanktagSymbol

 
Unsere Väter feierten Michaelis und Erntedank auf einem Tag: sie schauten den Dienst der heiligen Engel, die Gott geschaffen hat zu unserem Heil, und sie schauten daneben die Gaben der irdischen Schöpfung, die erschaffen sind, unser Leben zu fristen. Auch nun, wo beide Feste auseinandertreten, soll der Gedanke an die Engel Gottes uns daran erinnern, daß auch das Brot, das auf unseren Tisch kommt, verdankt wird dem Dienst bewahrender und schützender Mächte, die uns zum Segen verordnet sind. Wir mögen auch im Blick auf die Reifung und Segnung der Saat an das Psalmwort erinnern: »Der Du machst Winde zu Deinen Boten und Feuerflammen zu Deinen Dienern«. Der Wind, der durch die Felder weht und den wunderbaren Vorgang der Befruchtung einleitet, die Flammenspur der Blitze, welche die Schleusen des Himmels öffnet und den Regen niedergehen läßt über die Flur - sie mögen uns veranschaulichen, wie ganz unmittelbar unsere Ernte zurückgeht auf das Walten segensreicher Mächte, die Gott in Seinen Dienst stellt. Wir mögen daran erkennen, daß auch die Ernte nicht eingebracht würde und das Brot nicht auf unseren Tisch käme, wenn nicht Gottes Engel sie beschützt und den Segen Gottes auf die Felder gebracht hätten. Deshalb gehören zusammen: Erntedank und Engeldank!
Spieker [5], S. 280

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Ende des KirchenjahresSymbol

 
über den Westportalen mittelalterlicher Dome schauen wir, in Stein gehauen, die Darstellung der »letzten Dinge« : Christus, den Weltenrichter, auf dem Thron Seiner Herrlichkeit, zu Seinen Füßen Sonne und Mond, um Ihn her die Engel Gottes, die mit »hellen Posaunen« alle Welt vor Seinen Richterstuhl laden. Ihr Schall weckt die Toten aus ihren Gräbern auf. Christus scheidet alle, die vor Seinem Thron versammelt sind, und stellt die einen zu Seiner Rechten, die andern zu Seiner Linken. Die zu Seiner Rechten werden zu den himmlischen Freuden erhoben, die zur Linken gehen dem aufgesperrten Höllenrachen entgegen.
Wir lauschen wieder auf das, was jene mittelalterlichen Künstler - Prediger durch die Sprache der Steine - den Menschen zu Füßen jener mächtigen Dome, den Menschen auf dem Markt und auf der Straße, also auch uns Heutigen, zurufen : Ihr Menschen seid mitten im Zuge zum Jüngsten Gericht. Ihr alle, Alte und Junge, Arme und Reiche, geht ihm entgegen, auch wenn ihr's nicht wißt, vielleicht dünkt euch diese Welt noch un-endlich, es scheint euch noch alles festgefügt und wie für die Ewigkeit gebaut. und doch geht durch diese Welt ein unterirdisches Beben und eine ständige Erschütterung - so wie der Gang der Maschine als leises Beben und Schüttern sich dem ganzen Schiffsrumpf mitteilt. Die Unsicherheit der Welt wird den Menschen als geheime oder eingestandene Lebensangst spürbar, der sie in Rausch und Daseinsfreude zu entfliehen trachten, gegen die sie sich durch gesteigerte Lebenssicherung zu wappnen versuchen. Aber es gibt keine vollkommene Daseinssicherung. Immer aufs neue über uns hereinbrechende Katastrophen machen uns das deutlich - wenn etwa die großen Erschütterungen aller irdischen Sicherheiten in zwei Weltkriegen schon sollten in Vergessenheit geraten sein! jeder Tag offenbart die Brüchigkeit einer Welt, deren Stützen hohl, deren Pfeiler morsch sind. Wo etwas zusammenbricht, worauf wir uns verließen, wo überdachte Hohlräume einstürzen, so daß vor uns der Abgrund gähnt - überall da wird der wahre Zustand der Welt offenbar gemacht, entschleiert, gerichtet. Deshalb empfinden wir jene Bildwerke vom jüngsten Gericht als wirklich; das Gericht Gottes hat schon angefangen, wir leben schon mitten darin.
Es sollte nicht der Eindruck entstehen, als handle es sich hier um eine Besonderheit unsrer Zeit. Wir könnten Zeugnisse aus allen Zeiten der Kirche, von ihren Anfängen bis zur Gegenwart, anführen, welche .uns einprägen: »Kinder, es ist die letzte Stunde« (1. Joh. 2,18); »nahe gekommen ist das Ende aller Dinge« (1. Petr. 4, 7).
Diesen Zeugnissen ist ein Doppeltes gemeinsam: .sie wissen um den end-zeitlichen Charakter dieser Weltzeit, sie sehen deutlich, wie alle irdischen Wege und Möglichkeiten zu Ende gehen ; die irdische Welt ist in ihrem Verfallensein an .den Tod restlos .durchschaut. Dieses Wissen um die Hinfälligkeit der irdischen Dinge hängt aufs engste zusammen mit dem zweiten, ja, ist darin begründet: es ist das Wissen um eine neue Wirklichkeit, die im Anzuge ist, die heimlich und verborgen, wie die Glut unterirdischer Feuer, schon da ist. Kommt von dem Brausen unterirdischer Feuer jenes Zittern und Beben, das durch die Welt läuft? Kommt jene Unsicherheit aller irdischen Zustände daher, daß alle irdischen Sicherheiten aufgehoben alle irdischen Mächte und Gewalten entmächtigt und unterfangen sind von einer anderen Wirklichkeit, welche sich als schlechthin weltüberlegen und allein beständig erweist? Diese Wirklichkeit ist einmal in der Gestalt eines heiligen, göttlichen Lebens in diese Welt eingegangen, sie ist wie eine heilige göttliche Glut in diese schon erkaltende Welt eingesenkt und brennt darin weiter als ein Feuer, das nicht gelöscht werden kann. Darin aber entscheidet sich das Schicksal der Welt: ob sie sich diesem heiligen, göttlichen Leben verschließt - dann versinkt sie in Kälte und verfällt dem ewigen Tode; oder ob sie sich von seiner Glut ergreifen und entzünden läßt - dann bekommt sie Anteil an diesem göttlichen Leben selber. Wir meinen damit nichts anderes als das heilige göttliche Leben Christi. Seitdem dieses Leben leibhaft auf Erden erschienen ist in menschlicher Gestalt, bleibt es bei uns alle Tage bis ans Ende der Welt. Wort und Sakrament sind die zwei Erscheinungsformen desselben Herrn, der sich in der Niedrigkeit solcher irdischen Gestalten zu uns Schwachen herabneigt, daß wir uns durch sie nähren und sättigen lassen .mit seinem heiligen Leben. Wenn wir sie verschmähen, so werden uns beide, Wort und Sakrament, zum Gericht, indem sie bestätigen, daß wir keinen Anteil haben an Gottes heiligem Leben, das der Welt zum Heil gegeben ist. Solches Gericht und Urteil wird vollends offenbar und besiegelt, wenn Christus aufs neue vor der Welt erscheinen wird, unnahbar in seiner Majestät, unerreichbar in seiner Höhe, verzehrend in der Glut seiner Liebe.
Das also ist es, was jene Bildwerke über den Portalen mittelalterlicher Dome uns verkünden: Die Entscheidung, zu der die Welt gerufen ist, und auch deine Entscheidung geschieht an Christus, dem Gottessohn, sie ist eine Entscheidung entweder zum Leben oder zum Tode. Die Darstellung des Jüngsten Gerichts wächst bei jenen Bildwerken heraus aus den Darstellungen vom Erdenleben unsres Erlösers: angefangen bei Seiner Geburt, der Anbetung durch die Weisen und dem Kindermord des Herodes, führen sie hin zu seiner Kreuzigung und seiner Auferstehung. Aus dieser Gottesgeschichte auf Erden wächst die Endgeschichte der Welt, wächst das gewaltige Geschehen des Weltgerichts.
Christus hat dieser Welt seine Kirche eingestiftet als »Pfeiler und Grundfeste der Wahrheit«. Er hat sie in das Zeugenamt berufen, daß sie, unbeirrbar durch alle Einwände, ihr »Bekenntnis der Hoffnung« in dieser Welt kund werden lasse. Er hat sie als eine Hüterin am Tor der ewigen Welt aufgestellt, damit sie in einer Welt, die stets aufs neue in Sicherheit und Schlaf zu versinken droht, ihre Wächterstimme erhebe und ihren Ruf zur Bereitschaft hinausgehen lasse. Das war der Grund, weshalb uns die Bilder der ewigen Welt verblaßten, die Schau der Hoffnung sich verengte, bis nur noch die Frage nach dem »persönlichen Weiterleben nach dem Tode« übrigblieb. Wir lebten nicht mehr mit der Kirche, wir ließen uns von ihr nicht mehr zur Schau der letzten Dinge emporheben, wir vernahmen nichts mehr von .dem gewaltigen Dreiklang »Tod, Gericht und Ewigkeit«. Die Väter unsrer lutherischen Kirche bewegte .die Sorge: wie kriege ich einen gnädigen Gott, und wie soll ich bestehen in Seinem Gericht? Der Mensch .unsrer Tage fragt höchstens: ist mit dem Tode alles aus? Von den gewaltigen Wirklichkeiten, von denen die Bildwerke über den Westportalen unsrer Dome Kunde geben, ahnt er nichts mehr, Nur im Zusammenleben mit der Kirche durchleben wir die Geschichte als ein Geschehen, welches ein Ziel hat. Die Kirche soll wachen mit brennender Lampe auf das Kommen des »Bräutigams«. In der Kirche .Christi erleben wir die irdische Zeit als Endgeschichte. Gewaltig regen sich die innerweltlichen Kräfte, sie trachten .danach, das ihr fremde Leben der Kirche auszuscheiden. Es liegt im Wesen der Welt und der Kirche, daß beide miteinander im Kampfe liegen. Christi Reich ist auf Erden ein kämpfendes Reich, es weckt und erregt durch sein bloßes Dasein die Kräfte der Christusfeindschaft. Das muß über die Christenheit Not und Leiden bringen. Aber Gott verleiht ihr die Kraft zum Ausharren durch den Ausblick der Hoffnung.
Die Kirche geht einem Ziele entgegen, an dem Gott alles an seinen Ort stellen wird, wohin es gehört, wo alles seinen rechten Namen erhält und als das enthüllt wird, was es wirklich gewesen ist. Da wird offenbar werden, daß alles entwurzelte und gottentfremdete Leben längst den Todeskeim in sich trägt und reif war für den Untergang. Da wird auch die Schuld der Kirche aufgedeckt werden - sie liegt nur zum geringen Teil an der Stelle, auf die die Welt mit Fingern zeigt. Ihre Schuld wird als Schuld vor Gott aufgedeckt werden, als Lauheit und Untreue im heiligen Dienst, als Erkalten der Liebe, als Mangel an Mut zur Wahrheit und zum Leiden. Am Hause Gottes wird das Gericht anfangen - die Kämpfe und Leiden der Kirche in der Zeit sind ein Zeichen, daß das Gericht schon angefangen hat. Das erfüllt die Christen zugleich mit heimlicher Freude. Ihnen ruft der Apostel zu : »Freuet euch, daß ihr mit Christus leidet, auf daß ihr auch zur Zeit der Offenbarung Seiner Herrlichkeit Freude und Wonne haben möget« (1. Petr. 4, 13). Das Gericht Gottes bedeutet für die Kirche Reinigung und Läuterung. sie wird von den Flecken befreit, die ihr von der Welt her anhaften. Es wird ihr gegeben, »sich anzutun mit reiner und schöner Leinwand - die köstliche Leinwand aber ist die Gerechtigkeit der Heiligen« (Offb.19, 8). Lag auf der Kirche Christi in der Welt die Not und Schande der Trennung, so wird sie nun der wahren Einheit entgegengeführt. Der eine Grund wird offenbar werden, auf dem die Kirche steht, der Grund, welcher gelegt ist, den keine Menschenhand mehr zu legen braucht. Aus allen Völkern wird das neue Volk Gottes zusammengeführt zur Einigkeit des Glaubens. Ja, aus Glauben wird Schauen, aus Hoffnung wird Erfüllung. Die neue Gotteswelt tritt hervor, die ewige Stadt, »die einen Grund hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist« (Hebr. 11, 10). Die Hoffnung der Kirche umfaßt das Ganze der Welt. Sie ist nicht auf die Menschen beschränkt, sie umfaßt alle Kreaturen, die bis heute dem »Nichtigen« unterworfen sind. Auch die Kreaturen werden an der herrlichen »Freiheit der Kinder Gottes« teilhaben, ein neuer Himmel wird sich über ihnen wölben, eine neue Erde wird sie tragen. Dies alles ist nicht ein schöner Traum, sondern es ist uns verbürgt durch den neuen Anfang, der in unsrer Mitte geschehen ist. Durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten ist an einer Stelle die Welt neu geworden - alles wird zur neuen Kreatur, was sich in dies neue Leben der Auferstehung hereinziehen läßt. Das Leben des Auferstandenen ist sieghaft, es wird allbeherrschend sein. Das Offenbarwerden Seiner noch verborgenen Herrlichkeit - .das ist die »Wiederkunft«, die neue Ankunft des Herrn, der wir entgegengehen.
Das Kirchenjahr schließt mit demselben Ausblick, mit dem es begonnen hat. Nur trägt diese Schau verschiedene Vorzeichen. Am Ende des Kirchenjahres bietet sich uns die Schau der »Zukunft« dar von der ihrem Ende zueilenden Zeit, von der vergehenden Weltgestalt aus, am Anfang des Kirchenjahres von dem neuen Anfang her, der von den Propheten verheißen, von den Engeln verkündigt und im Fleische erschienen ist. Dann wird deutlich, daß die Jahre der Kirche sich nicht im Kreislauf schließen; sie gehn nicht ein in die Ebene der Endlichkeit. Wollten wir sie darstellen, so wäre ihnen die Spirale gemäßer als der Kreis. Wir sind Wanderer im Glauben, wir gehn von Glauben zu Glauben - Hoffnung am Anfang, Hoffnung am Ende. Wir harren des Herrn, der da kommt. In Seiner »Zukunft« wird der Kreislauf der Erdenjahre gesprengt. Diese Erdenzeit wird geöffnet für Den, von dem gesagt ist: »Siehe, Er kommt mit den Wolken, und es werden Ihn sehen alle Augen, und werden wehklagen um Ihn alle Geschlechter der Erde. Ja, Amen. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende, spricht der Herr, der da ist und der da war und der da kommt, der Allmächtige« (Offb, 1, 7-8).
Spieker [5], S. 306 - 311


© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 04-11-21
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